Dienstag, 1. Oktober 2019

Nachhaltige Medientechnik in Ausstellungen und Museen


Ein gutes Beispiel für die Integration einer Nachhaltigkeitsperspektive in ein quasi beliebiges Thema ist die Ausstellung Level Green in der Autostadt Wolfsburg. Auch wenn die Autoindustrie nicht eine per se nachhaltige Branche ist, wird in Level Green aufgezeigt, welche Bezüge es zwischen Nachhaltiger Entwicklung und (Auto)mobilität bestehen. Es wird sogar noch ein größerer Bezugsrahmen hergestellt und Nachhaltige Entwicklung und relevante Forschung insgesamt dargestellt.

Stromverbrauch und Medientechnik

Die Ausstellung wurde vielfach für die Szenografie und das Design ausgezeichnet – nicht jedoch für eine ökologische Herstellung oder den Einsatz einer ressourcensparenden Medientechnik. Wieso wird beim Besuch der Ausstellung schnell deutlich: Die zahlreichen Bildschirme der Medienexponate sitzen hinter durchsichtigen Oberflächen, die stark verdunkelt sind.
Dadurch gewinnt die Gestaltung der Ausstellung an Charakter – doch um durch die Oberflächen noch lesbar zu sein, frage ich mich, müssten die Bildschirm doch auf eine enorme Helligkeit eingestellt sein? Der Einsatz von verdunkelten Oberflächen bedingt hier demnach einen immensen und eigentlich unnötigen Stromverbrauch. Und Stromverbrauch ist ein zentraler Bestandteil des klimarelevanten CO2-Fußabdrucks (Malmodin/Lundén 2018; Malmodin u.a. 2010).
Energieeffizienz ist ein zentrales Kriterium

Design versus nachhaltige Technik

Dieses Fallbeispiel steht exemplarisch für den Abwägungsprozess, bei dem in jedem Museum, bei jedem Ausstellungsprojekt die Nachhaltigkeitskriterien mit konkurrierenden Interessen abzuwägen sind. Dabei sind Gestaltungsargumente nicht die häufigsten „Killer“ für Auswahl nachhaltiger Produkte oder Konzepte.
„Fast alle Entscheidungen werden aufgrund der technischen Gütekriterien der eingesetzten Produkte entschieden“, so ein erfahrener Medientechnik-Planer. Und selbstverständlich sind die Preise der eingesetzten Technik in diesem kostengetriebenen Markt ebenso ausschlaggebend.

Bewertung von medientechnischen Systemen

Häufig ist die Entscheidung aber nicht so einfach: Komplexe medientechnische Systeme bringen auch Zielkonflikte in der Abwägung der Nachhaltigkeits-Kriterien mit sich. Ein noch überschaubares Beispiel ist das energieeffizienteste Produkt, dass jedoch so viel Wärme in der Vitrine produziert, dass eine zusätzliche Klimatisierung eventuell notwendig werden würde. Dieser Fall macht deutlich, dass Daten zu unterschiedlichen Aspekten der Nachhaltigkeitsperformance der Produkte notwendig sind, um eine gut informierte Entscheidung zu treffen.

Nachhaltigkeitsaspekte von Green IT

Zur Bewertung von Medientechnik aus ökologischer und nachhaltiger Sicht wurde auch unter den Begriffen Green IT, oder Sustainable AV, bereits viel geforscht und publiziert (vgl. bspw. (Maxwell/Miller 2012; Berkhout/Hertin 2004). Die nachhaltigkeitsrelevanten Effekte von Medien-, AV- und IT-Produkten entstehen nicht nur durch Herstellung, Nutzung und Entsorgung, sondern auch durch indirekte Effekte (Williams 2011). Grundsätzlich können medientechnische Produkte unter verschiedenen Aspekten auf ihre Nachhaltigkeit hin bewertet werden. Dazu gehören:
  • Ressourcenverbrauch bei Herstellung
  • Graue Energie, also die Energie, die über den gesamten Lebenszyklus der Geräte (Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf, Entsorgung) eingesetzt wird
  • Energieeffizienz
  • Herstellung aus recycelten Materialien
  • Einsatz recycelbarer Materialien (siehe hierzu bspw. (Pini u.a. 2019)
  • Einsatz schadstoffarmer Materialien
  • Lebensdauer, insbesondere von Leuchtmitteln

Ökobilanzen und LCA noch selten

Um zu einer einfacheren Auswahl der nachhaltigsten Produkte zu kommen, wären mehr Untersuchungen zur Nachhaltigkeits-Performance im gesamten Lebenszyklus sinnvoll. Solche Lebenszyklusanalysen bzw. Ökobilanzen (engl. Life Cycle Assessment, kurz LCA) von Produkten sind für Endkundenprodukte bereits gängig, für professionelle Produkte zum Einsatz in Museen und Ausstellungen leider noch sehr selten, auch aufgrund der methodischen Schwierigkeiten im sich rasant entwickelnden IT-Sektor (Cheung/Berger/Finkbeiner 2018; Arushanyan 2013)

Lebensdauer und Betriebskosten

Ein zentrales Kriterium zum Einsatz von IT- und AV-Produkten in Museen ist die Höhe der Betriebskosten sowie die Lebensdauer. Im Hinblick auf die Lohnkosten werden die Betriebskosten maßgeblich durch den Wartungsaufwand bestimmt. Dadurch sind aus rein ökonomischer Perspektive Produkte günstiger, die komplett ausgetauscht werden, als eine aufwändige Wartung wie beispielsweise den Austausch eines Beamer-Leuchtmittels einzuplanen.
„Der Trend geht ganz klar zu Wegwerf-Lösungen“, so ein Medientechniker eines großen Museums, der hier ungenannt bleiben möchte.

Nachhaltigkeitskriterien spielen in der Medienplanung keine Rolle

Es bleibt festzuhalten, dass insgesamt die Berücksichtigung von nachhaltigen Kriterien beim Einsatz von Medientechnik in Museen bisher die Ausnahme ist. Der Einsatz von Labels wie TCO oder die Zertifizierung durch LEED findet nur in sehr speziellen Projekten statt, wenn Museen oder andere Auftraggeber dies ganz klar einfordern und bis zum Ende der Umsetzung kontrollieren. Und dann gibt es auch noch die Projekte, bei denen eine solche Zertifizierung eher einer Greenwashing-Kampagne ähnelt.

Wie kann die AV-Branche nachhaltiger werden?

Damit die Medientechnikbranche nachhaltiger wird, sind folgende Ansätze erfolgversprechend:
  • Die Politik müsste die rechtlichen Rahmenbedingungen anpassen. Ein Beispiel wäre die Rücknahmepflicht aus dem Consumer Bereich auch auf den professionellen Einsatz auszudehnen
  • Auftraggeber wie Museen sollten verbindliche Vorgaben machen, bspw. Zertifizierungen verlangen
  • Öffentliche Ausschreibungen sollten Ökobilanzen und nicht nur Energieeffizienz als Kriterium beinhalten. Ausschreibungen sollten außerdem ein detailliertes Vorgehen spezifizieren, wie nachgewiesen wird, dass das nachhaltigste Produkt ausgewählt wurde

Was brauchen Medienplaner um nachhaltig zu arbeiten?

Medienplaner befinden sich nach Politik, Herstellern und Auftraggebern hier am Ende der Nahrungskette. Sie besitzen kaum eigene Auswahloptionen, da technische Gütekriterien in der Regel viel wichtiger sind, als die Nachhaltigkeitsperformance - und trotzdem ist auch eine Änderung der Medientechnikbranche hin zu mehr Nachhaltigkeit von untern möglich. 
Ein erster Schritt wäre eine Benchmarking-Seite für Produkte, in der die Nachhaltigkeitsperformance unkompliziert recherchiert werden kann. Vielleicht könnte hier der Verband der gewerblichen AV-Industrie einen Anstoß geben? Des Weiteren gilt es für Medienplaner sich kontinuierlich zu diesem Thema fortzubilden. Eine gute Möglichkeit könnten die Fortbildungsangebote von Avixa auf der Integrated Systems Europe Konferenz in Amsterdam sein. Und schließlich benötigen alle AV- und IT-Planer viel Idealismus (Akman/Mishra 2014), um Nachhaltigkeit in der täglichen Arbeit umzusetzen.



Literaturverzeichnis
Akman, Ibrahim/Mishra, Alok 2014: Green information technology practices among IT professionals: Theory of planned behavior perspective. In: PROBLEMY EKOROZWOJU–Problems of Sustainable Development, 9. Jg., H. 2, S. 47–54.
Arushanyan, Yevgeniya 2013: LCA of ICT solutions: environmental impacts and challenges of assessment. Licentiate thesis, comprehensive summary. Stockholm. http://kth.diva-portal.org/smash/get/diva2:678260/FULLTEXT02.pdf.
Berkhout, Frans/Hertin, Julia 2004: De-materialising and re-materialising: digital technologies and the environment. In: Futures, 36. Jg., H. 8, S. 903–920. DOI 10.1016/j.futures.2004.01.003
Cheung, Chui W./Berger, Markus/Finkbeiner, Matthias 2018: Comparative life cycle assessment of re-use and replacement for video projectors. In: The International Journal of Life Cycle Assessment, 23. Jg., H. 1, S. 82–94. DOI 10.1007/s11367-017-1301-3
Malmodin, Jens u.a. 2010: Greenhouse Gas Emissions and Operational Electricity Use in the ICT and Entertainment & Media Sectors. In: Journal of Industrial Ecology, 14. Jg., H. 5, S. 770–790. DOI 10.1111/j.1530-9290.2010.00278.x
Malmodin, Jens/Lundén, Dag 2018: The Energy and Carbon Footprint of the Global ICT and E&M Sectors 2010–2015. In: Sustainability, 10. Jg., H. 9, S. 3027. DOI 10.3390/su10093027
Maxwell, Richard/Miller, Toby 2012: Greening the media. Oxford.
Pini, Martina u.a. 2019: Preparation for reuse activity of waste electrical and electronic equipment: Environmental performance, cost externality and job creation. In: Journal of Cleaner Production, 222. Jg., S. 77–89. DOI 10.1016/j.jclepro.2019.03.004
Williams, Eric 2011: Environmental effects of information and communications technologies. In: Nature, 479. Jg., H. 7373, S. 354–358. DOI 10.1038/nature10682